Die Krux des Streams

Mit dem ersten Lockdown im März und dem drohenden Stillstand der Kultur öffnete sich gleichzeitig eine eher neue Kulturdisziplin: Das Streaming! „Virtuelle Konzerthäuser“, wie digitale Plattform der Berliner Philharmoniker, gibt es schon eine ganze Weile, dass dieses Angebot nun in der Breite angekommen ist, ist aus meiner Sicht aber doch ein Ergebnis der Corona-Pandemie. Facebook, Instagram, Youtube, vimeo…überall wurde drauf losgestreamt, in unterschiedlichen Qualitäten und dieses meine ich sowohl inhaltlich, als auch technisch.
Aber die erste Krux aus meiner Sicht: Die meisten Angebote waren umsonst.

Wieso? –
Der Satz „Der Applaus ist der Lohn des Künstlers“ spielt hier sicherlich eine gewichtige Rolle! Mit dem Lockdown wurde den Künstler*innen nicht nur die Möglichkeit genommen, sich ihren Lebensunterhalt durch ihre Begabung und ihr Können zu finanzieren. Ein weiterer Aspekt des Bühnenmenschen ist die Bühne an sich, die er/sie zum Überleben der Seele und des Herzens braucht. Ich habe da in den letzten Monaten viel erlebt. Nicht nur mir sind die Tränen herunter gelaufen, als das erste Mal nach dem „Lockdown I“ im Kleinen Theater Haar wieder Live-Musik zu hören war (es war im Rahmen unseres „Feierabend im Theater“ Titus Waldenfels, der auch wie ein Weltmeister streamt). Wie sehr haben Künstler*innen ihren ersten Auftritt seit Monaten wieder genossen, auch wenn das Publikum fehlte. Aber es war eine Öffentlichkeit hergestellt!

Die Krux an dieser Stelle: Kultur war immer zu jeder Zeit unentgeltlich abrufbar, ohne den Rahmen den sie braucht und ohne eine monetäre Anerkennung der erbrachten Leistungen! Manch einer hat über Facebook eine Spende oder über ein Paypal-Konto eine Überweisung erbeten. Aber welcher Bäcker würde die Preisgestaltung seiner Semmel einem Kunden überlassen?

Gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen Roland Karasek haben auch wir im April und Mai aus dem Kleinen Theater Haar gestreamt, umsonst und über Facebook, mit zum Teil abenteuerlichen technischen Konstruktionen, häufig unbefriedigend, aber mit viel Enthusiasmus. Uns war aber wichtig: Wir als Institution zahlen unsere Künstler*innen, sicherlich nicht in angemessener Höhe, aber doch immerhin nicht nur in Naturalien und nett gemeinten Applaus vom Balkon. Uns war aber klar, dass dieses nicht die Zukunft sein kann. Wir sind ein professionelles Haus und wollen uns auch professionell nach außen „verkaufen“. Wir mussten also ein digitales Theater aufbauen. Von großer Bedeutung für mich war, dass ich eine Bezahlfunktion für diese neue Theaterform umsetzen möchte. Kultur muss bezahlbar, aber auch bezahlt sein! Das hat für mich auch etwas mit Wertschätzung zu tun!

Die Krux an dieser Stelle: Um ein digitales Theater auf die Beine zu stellen, braucht es vernünftige Technik für Bild und Ton. Darüber hinaus musste eine geeignete Plattform gefunden werden, über die wir unser „Produkt“ anbieten können. Das alles ist darüber hinaus sehr teuer, eine Investition, die wir in einer Kulturkrise diesen Ausmaßes gar nicht finanzieren konnten. In diesem Moment – es war Mai 2020 – wurde das Programm „NEUSTART“ durch die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, aufgelegt. Ich habe Mittel beantragt.
Gleichzeitig haben wir mit der Digitalisierung des Theaters begonnen: Glasfaseranbindung, Technik-Recherche, Provider-Recherche.
Im September gab es den positiven Vorabbescheid für das Förderprogramm, wir konnten unsere Investitionen tätigen. Wir haben zu dritt – neben Roland Karasek war auch noch Marco Neugebauer dabei – das digitale Theater umgesetzt und haben mit unserem Ticketprovider Reservix auch eine geeignete Plattform gefunden. Pünktlich zum zweiten Lockdown im November 2020 waren wir startklar! (Die zugesagten Mittel waren dann auch endlich am 25.11.2020 auf dem Konto). Seit dem läuft es, aber es entwickelt sich vor allem weiter. Unsere Ansprüche steigen und damit auch die Qualität unseres Angebotes.

Die eigentliche Krux!

Ist das digitale Theater nun das Theater der Zukunft? -Streamen bis der Arzt kommt? – Zu diesem Thema gab es in den letzten Tagen auch Presseberichte in der Süddeutschen Zeitung, geschrieben von Udo Watter (31.12.2020 „Theatre Of Streams„; 4.1.2021 „Weniger muss mehr sein„).

Um es abzukürzen: Nein, das darf, kann und wird nicht sein!

Theater lebt von so viel mehr, als nur den Faktoren „Unterhaltung“, oder „Freizeitgestaltung“. (An dieser Zuordnung im November 2020 haben sich viele Kulturtreibende ebenso gestört, wie an der Titulierung des „Locktown light“). Es bedeutet den Künstler*innen mehr, es bedeutet dem Publikum mehr und es bedeutet uns Theatermachern mehr. Die Werte sind hier sicherlich unterschiedlich, aber Theater lebt von der Begegnung, der Energie des Künstlers, die sich aus der Energie des Publikums speist und es lebt von einer inneren Haltung aller Beteiligten!
Streaming bleibt Kompromiss: Für diejenigen, die das Theater lieben, weil ihnen das Umfeld fehlt, für diejenigen, die Fernsehen lieben, weil es technisch eben doch nicht das selbe ist, für die Künstler*innen, weil sie ihr Publikum und die Kunst lieben, für die Theatermacher, weil ihnen der Kern ihrer Arbeit fehlt.

Aber es ist ein probates Mittel der Krisenbewältigung, weil es Freude, Unterhaltung, Ablenkung schenkt. Es ermöglicht Außenwahrnehmung und Aufmerksamkeit, wir vergessen einander nicht. Das ist schön, es bleibt eine Nähe, auch wenn wir nicht bei einander sind!

Wir lernen bei jedem Stream und ich kann mir für die Zukunft gut vorstellen, dass es eine Ergänzung als „Hybridtheater“ bietet. Was ist – jetzt einmal mit dem Haarer Auge geschaut – mit den Bewohner*innen im Maria-Stadler-Hauses, mit den Patient*innen im kbo-Isar-Amper-Klinikum, mit erkrankten Menschen, die den Weg ins Theater nicht mehr gehen können? – Für sie ist es doch mehr als nur eine Alternative!

Ja, und es bietet einem norddeutschen Theatermacher in Bayern die Möglichkeit, seine Heimat zu erreichen!

Es ist also alles nicht umsonst!

Ein Kommentar zu “Die Krux des Streams

  1. Habe Deine Darlegung mit Interesse gelesen. Auch wir hier in Hamburg sind eingeschränkt, einmal wegen Corona schlechthin und auch aus Angst sich anzustecken. Wir Alten schauen DVDs und hören CDs. Es ist auch nicht Jedermanns Sache mit der Technik umzugehen. Ich wünsche Dir eine glückliche Hand und, vor allen Dingen, eine baldige Normalität. Gruß Peter.

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